Von Wilma Ohly, Februar 2005

Die Berliner Domkirche

Als am 27. Februar 1905 mit großem Pomp und im Beisein der kaiserlichen Familie der Dom in Berlin eingeweiht wurde, war Hof- und Domprediger Karl J.W.T. Ohly einer der ersten vier Pfarrer am Dom. Dies war Anlass für das heutige Domkirchenkollegium, die Nachfahren zu den Jubiläumsfeierlichkeiten einzuladen. So durfte ich offiziell den Familienverband Ohly beim Festgottesdienst 100 Jahre später vertreten.

Es war winterlich kalt in der Bundeshauptstadt, und es schneite, als sich schon eine Stunde vor Beginn des Gottesdienstes zahlreiche Kirchenbesucher am Eingangsportal unter dem Segnenden Christus, der angesichts der überladenen Architektur des Späthistorismus vielleicht das Evangelischste an der Fassade ist, einfanden. Es war interessant, das Pro und Contra der Berliner zum Wiederaufbau des Doms zu hören. Seine historische Bedeutung als eher junges Zeitzeugnis und seine kulturelle und touristische Bedeutung werden nicht bestritten, doch taucht die Frage auf, ob auch der Dom als geistiges Zentrum evangelischen Glaubens und als Stätte des Gebets Bestand hat.

Einig waren sich alle, und das wurde später auch in den Grußworten unterstrichen: Das Schloss, das weltliche Gegenüber des Doms, muss als eigentliches Herzstück Berlins wieder aufgebaut werden. Dort gammelt heute noch in seiner ganzen Länge der marode Palast der Republik aus Honeckers SED-Zeiten mit seiner abstoßenden Fassade vor sich hin.

Die Einladung an die Nachfahren der ersten Dompfarrer war jedenfalls mit Sorgfalt durchdacht und gastfreundlich gestaltet. Ich wurde zu meiner reservierten Bank geleitet. Die erste Reihe war für das Haus Hohenzollern frei gehalten, aber gleich dahinter konnte ich Platz nehmen. Geehrt fühlte ich mich schon, obwohl ich doch nur eine angeheiratete Ohly bin. Aber Michael aus Schweden, der ein Enkel des Dompfarrers ist, konnte nicht kommen. Unser Kirchenrat Martin musste aus gesundheitlichen Gründen absagen, und mein Mann, der ein Vetter ersten Grades in der zweiten Generation ist, liegt schwer erkrankt im Krankenhaus. Ich konnte nur für sie und alle Ohlys beten, und das hilft vielleicht doch weiter.

Der Festgottesdienst begann mit dem großen Einzug des Domkirchenkollegiums, von Bischof Huber und den mitwirkenden Bischöfen und Geistlichen. Osterkerze, Schmuckbibel, Kelch, Patene und Taufschale wurden herein getragen. Domorganist Christian Schlicke spielte wunderbar: zu Beginn von Louis Verne ein Stück und zum Ende “ Nun danket alle Gott“. Im Gottesdienst wurde, wie schon vor hundert Jahren, die Krönungsmesse von Mozart gesungen.

Bischof Dr. Wolfgang Huber hielt die beeindruckende Festpredigt. „Des Herren Wort bleibt ewig“, so lautet die Inschrift an der Kanzel. Unter diesem Motto beleuchtete der Prediger die Geschichte des Doms und stellte die politischen Intentionen der jeweiligen Epochen dar. Er würdigte jedoch auch die Kathedrale als Ort protestantischen Selbstbewusstseins, der Besinnung und Begegnung. Vor allem sieht er den Dom als Verpflichtung, den Geist des Evangeliums in die Straßen und die engen Behausungen der Arbeits- und Obdachlosen sowie derer zu tragen, die nichts als materielles Gewinnstreben im Sinn haben.

Im Anschluss an den Gottesdienst begrüßte Frau Dr.Schwaetzer als Vorsitzende des Domkirchenkollegiums die Ehrengäste, auch die Nachfahren der ersten Dompfarrer. Es hat mich berührt, den Namen Ohly im Dom zu Berlin bei dieser Festveranstaltung gewürdigt zu hören.

Verschweigen will ich aber unserem Familienverband auch nicht etwas zum Schmunzeln: die vier ersten Dompfarrer wohnten mit ihren Familien in einem Haus. Es ist leicht vorstellbar, dass dies nicht ohne Reibereien abging. Sie vertrugen sich nicht. Besonders beherrschend war Ohly. Bei Empfängen pflegte er sich deutlich mit einem lauten „Ohly, Ohly“ vorzustellen. Da er groß und mächtig von Gestalt war, fühlte sich sein überaus begabter, doch kleinerer Mitbruder Schniewind in den Schatten gestellt. Einmal soll er, als er den Namen Ohly dröhnen hörte, sich verschreckt und eingeschüchtert auch mit „Ohly“ vorgestellt haben. Im übrigen haben wohl alle vier bei Hofbanketten Pralinées, die gereicht wurden, in den Taschen ihrer Talare verschwinden lassen. Die Kinder daheim haben sich darüber gefreut. In Bezug auf ihr Amt und die Aufgaben im Dom haben sich die vier würdigen Herren jedoch geeinigt.

Im Verlauf der Feierlichkeiten änderte sich draußen das Wetter. Die Sonne schien und durchflutete die lichte Kuppel des Doms. „Großer Gott wir loben dich“, sang die Gemeinde. Das war mehr als ein Lippenbekenntnis. Das einhunderste Jubiläum zur Einweihung des Berliner Doms ist auch ein frohes Ja zum Christentum und ein Zeichen gegen Mutlosigkeit und Selbstverkleinerung, wie Bischof Huber es in seiner Predigt zum Ausdruck brachte.